Erinnerungskultur und historisch-politische Bildung stärken

Arbeitsgemeinschaft der KZ-Gedenkstätten in der Bundesrepublik Deutschland

FORUM der Landesarbeitsgemeinschaften der Gedenkstätten, Erinnerungsorte und -initiativen in Deutschland

Erinnerungskultur und historisch-politische Bildung stärken – Gedenkstätten an den Orten des NS-Terrors fordern größere Anstrengun­gen für Aufarbeitung und Vermittlung und ein Ende der Ungleichgewichte

Die Erinnerung an die nationalsozialistischen Verbrechen ist ein unverzichtbarer Bestandteil des demokrati­schen Selbstverständnisses der Bundesrepublik Deutschland. Dieser breite, teilweise in heftigen Konflikten in Politik und Gesellschaft errungene Konsens in der Erinnerungskultur wird gegenwärtig vom erstarkenden Rechtspopulismus offen bekämpft. Im Mittelpunkt der immer wieder zu leistenden historisch-politischen Selbstvergewisserung stehen die Gedenkstätten an den historischen Orten des NS-Terrors. Trotz der Weiter­entwicklung zu aktiven Museen und Lernorten ist ihre Unterstützung nicht ausreichend, um den bei stark ge­stiegener Besucherzahlen und sich verändernden gesellschaftlichen Herausforderungen in den letzten Jahren massiv gewachsenen Aufgaben gerecht werden zu können. Die Gedenkstätten zur Erinnerung an die NS- Verbrechen fordern daher die Regierungen des Bundes und der Länder auf, ihre Anstrengungen im Bereich der Aufarbeitung des Nationalsozialismus deutlich zu erhöhen.

In der Bundesrepublik hat sich durch bürgerschaftliches Engagement, den Vereinigungsprozess, Zuwanderungen und internationale Vernetzungen eine pluralistische, in großen Teilen weltoffene Gesellschaft herausgebildet. Dabei ist das Selbstverständnis der zweiten deutschen Demokratie stark durch den selbstkritischen Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit geprägt („Es gibt keine deutsche Identität ohne Auschwitz“, so Bundes­präsident Joachim Gauck am 27. Januar 2015). Die in den zurückliegenden Jahrzehnten in einem mühsamen Pro­zess gesellschaftlicher Verständigung erstrittene und gefestigte bundesdeutsche Erinnerungskultur wird von dem erstarkenden Rechtspopulismus infrage gestellt. Die Umdeutung von Geschichte ist hierfür ein zentrales Instru­ment: Wer die Worte von Bundespräsident Richard von Weizsäcker vom 8. Mai 1985 über die Befreiung vom Na­tionalsozialismus als „Rede gegen das eigene Volk“ brandmarkt, eine erinnerungspolitische Wende fordert und völkische Denkweisen vertritt, der bereitet einem neuen Nationalismus und der Wiederkehr von Leugnung, Auf­rechnung und Relativierung den Weg.

Auch sind in großen Teilen der Bevölkerung, in Medien und Politik im letzten Jahr die Sorgen gestiegen, die von den aktuellen politischen Konflikten, Kriegen und Terrorismus, von wirtschaftlicher Verunsicherung und globalen Krisen ausgehen. In Zeiten, in denen der Europäischen Union und anderen Staatengemeinschaften nationalstaat­licher Eigennutz entgegengestellt und Abschottung statt Förderung weltweiter Gerechtigkeit propagiert werden, fragen sich viele, ob die gesellschaftliche Verankerung der demokratischen Errungenschaften, die institutionellen Sicherungen des Rechtsstaates und die internationale Friedensordnung stark genug sind.

Gerade jetzt kommt den Gedenkstätten zur Erinnerung an die Opfer der nationalsozialistischen Verbrechen, die sich seit den 1980er-Jahren zu wichtigen Lernorten einer demokratischen Gesellschaft und stark besuchten zeit­geschichtlichen Museen entwickelt haben, eine besondere Verantwortung zu. Verstärkt erreichen sie besorgte Anfragen von den hochbetagten Überlebenden des NS-Terrors und ihren Angehörigen, wie weit die Lehren aus den geschichtlichen Erfahrungen des Nationalsozialismus tragen. An die Gedenkstätten werden große Erwartun­gen herangetragen. Sie sollen im Zuge des Generationenwechsels und des Verlustes der Zeitzeugen die Erinne­rung an die Verbrechen des Nationalsozialismus, an genozidalen Rassismus und Antisemitismus bewahren. Sie sollen diese Geschichte auch Migrantinnen und Migranten vermitteln und dadurch Beiträge zur Integration und Festigung der demokratischen Wertekultur leisten. Gemeinsam mit anderen Akteuren in der Geschichtsvermitt­lung dienen sie der Völkerverständigung, der Demokratieerziehung und der Menschenrechtsbildung.

Der Koordination und der Debatte um die zukünftige Entwicklung von Erinnerungsorten vor dem Hintergrund der genannten Herausforderungen dient die Bundesweite Gedenkstättenkonferenz. Sie wird gebildet aus der Arbeits­gemeinschaft der KZ-Gedenkstätten in der Bundesrepublik Deutschland, weiteren Bildungs- und Dokumentations-

stätten sowie dem FORUM der Landesarbeitsgemeinschaften der Gedenkstätten, Erinnerungsorte und -initiativen in Deutschland; letzteres vertritt derzeit 264 haupt- und ehrenamtlich betreute Gedenkstätten und Erinnerung­sorte. Die Konferenz wird organisiert vom Gedenkstättenreferat der Stiftung Topographie des Terrors.

Die Gedenkstättenkonferenz hat sich, zuletzt im Dezember 2016 bei ihrer Tagung in Köln, für eine dringende Neujustierung der Bundesförderung ausgesprochen. Im Zuge einer Weiterentwicklung der 2008 zuletzt modifi­zierten Gedenkstättenkonzeption des Bundes ist eine Struktur zu schaffen, die auch jenseits der Mitfinanzierung der Länder eine Unterstützung von Aufarbeitungsinitiativen, Forschungs- und Bildungsprojekten erlaubt, wie dies bei der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur der Fall ist. Deren breiter gesetzlicher Auftrag macht deutlich, dass hier bislang eine zentrale Leerstelle in der (Bundes-)Förderung der Erinnerung an den Nationalso­zialismus und dessen „zweiter Geschichte“ besteht. Die Bundestagsbeschlüsse der letzten Monate werden hinge­gen die schon länger bestehenden Ungleichgewichte noch weiter verstärken. Die Einrichtung eines neuen, mit 30 Millionen Euro ausgestatteten Forschungsverbundes zum Thema SED-Unrecht, für den der Haushaltsausschuss im November 2016 die Voraussetzungen geschaffen hat, muss deshalb um entsprechende Anstrengungen zur Förde­rung der NS-Aufarbeitung ergänzt werden. Es bedarf einer Stiftung oder eines analogen Förderinstruments, das ebenso wie die Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur auch für den Bereich der NS-Aufarbeitung Mög­lichkeiten bietet, regelmäßig Projekte kleiner wie großer Initiativen, Gedenkstätten und weiterer Forschungs- und Bildungseinrichtungen zu unterstützen.

Gemäß ihrer bildungspolitischen Bedeutung und vor dem Hintergrund wachsender Besucherzahlen stehen die Gedenkstätten an den Orten der NS-Verbrechen vor Aufgaben, die über die bisherige Erinnerungsarbeit hinaus­gehen. Sie benötigen eine bessere finanzielle und personelle Grundausstattung. Bei einer Neujustierung der Ge­denkstättenkonzeption des Bundes sind folgende Aufgabenbereiche von vorrangiger Bedeutung:

  • Ausbau und Stärkung gedenkstättenpädagogischer Projekte, transgenerationeller und internationaler Begeg­nungsprogramme und zeithistorischer Forschungsvorhaben zur Ereignis- und Rezeptionsgeschichte des jeweili­gen Erinnerungsortes
  • Inhaltliche und bauliche Anpassungen und Überarbeitungen von Gebäuden, Ausstellungen und Bildungskon­zepten
  • Umsetzung der vielfältigen Aufgaben, die mit der Inklusion und Teilhabe verbunden sind, insbesondere der UN­Behindertenrechtskonvention und des Bundesteilhabegesetzes
  • Sicherung und Erschließung der Sammlungen und Archive, um den Wissenstransfer für die nächsten Generati­onen sicherzustellen
  • Stärkung von fachlichem Austausch und Qualifikation der Gedenkstätten und ihren Mitarbeiterinnen
  • Dauerhafte Absicherung und Stärkung des zunächst 1983 von der Aktion Sühnezeichen Friedensdienste einge­richteten, heute bei der Stiftung Topographie des Terrors angesiedelten Gedenkstättenreferats, das als Koordi­nierungsstelle für Gedenkstätten und Gedenkstätteninitiativen der bundesweiten Vernetzung und dem inter­nationalen Austausch von Erinnerungsorten dient

Es gilt, die erfolgreiche Arbeit der dezentralen Gedenkstättenlandschaft in ihrer Kombination aus zivilgesellschaft­lichem Engagement und der Vielfalt der kleinen, mittleren und großen Gedenkstätten zu erhalten und zu stärken. Dies ist die Voraussetzung, damit sie zeitgemäße Antworten auf die neuen Herausforderungen geben und sich den verändernden Fragen der nachfolgenden Generationen an den durch die Menschheitsverbrechen des Natio­nalsozialismus bewirkten Zivilisationsbruch so stellen können, dass sie mit der Erinnerung an die Opfer des NS- Terrors Impulse zur Gegenwarts- und Zukunftsbewältigung bieten.

Berlin, den 5. Mai 2017

Arbeitsgemeinschaft der KZ-Gedenkstätten in der Bundesrepublik Deutschland – Der Sprecher

FORUM der Landesarbeitsgemeinschaften der Gedenkstätten, Erinnerungsorte und -initiativen in Deutschland – Der Sprecherrat Kontakt:

Dr. Thomas Lutz, Gedenkstättenreferat

Stiftung Topographie des Terrors, Niederkirchnerstraße 8, 10963 Berlin Tel.: 030-254509-15; lutz@topographie.de